„Wir suchen dringend MitstreiterInnen, die etwas bewegen und organisieren wollen.“

Ein Interview mit der Toastmasterin Patricia Sadoun (geb. 1953) zu ihrem Engagement im Stuttgarter Bürgerhaushalt – von Ulf Menck im Mai 2021

Illustration: Thilo Rothacker/Grafik: Stadt Stuttgart

Ulf Menck (UM): Guten Tag, Frau Sadoun. In welcher Funktion sind Sie im Stuttgarter Bürgerhaushalt tätig?

Patricia Sadoun (PS): Ich verfolge den Stuttgarter Bürgerhaushalt seit 2011, also von Beginn an als aktives Arbeitskreismitglied. Seit 2014 bin ich als Multiplikatorin mit dabei.

UM: Was ist der Stuttgarter Bürgerhaushalt?

PS: Stuttgarter Einwohner machen Vorschläge für städtische Projektideen, die dann von den Bürgern mit Stimmen bewertet werden. Daraufhin wird eine Top 100 erstellt, bestehend aus den Projekten, die am meisten Stimmen erhalten haben. Im Bürgerhaushalt geht es aber nicht bloß um politische Bildung, er ist auch ein Integrationsprojekt. Es geht darum, sich mit dem unmittelbaren Lebensumfeld zu beschäftigen. Wie funktioniert die Stadt, in der ich lebe? Was macht ein Bezirksbeirat? Erst seitdem ich mich mit diesen Fragen beschäftige, fühle ich mich wirklich als Bürgerin der Stadt Stuttgart.

UM: Wer kann daran teilnehmen?

PS: Jeder kann mitmachen. Es gibt keine Altersbeschränkung und auch die Herkunft ist nicht entscheidend. Die Menschen von der Straße – außerhalb der politischen Sphären – können mitsprechen. Die einzige Begrenzung liegt darin, respektvoll miteinander umzugehen. Noch wird diese Art der uneingeschränkten Bürgerbeteiligung viel zu wenig genutzt. Seit Kurzem bin ich auch im Bürgerhaushalt in Paris aktiv, um frische Impulse zu bekommen und über den Tellerrand zu schauen.

UM: Welche konkreten Projektvorschläge liegen Ihnen am Herzen?

PS: Mein Fokus liegt nicht auf der Förderung von konkreten Projekten, sondern darauf, mit Menschen zu arbeiten. Jedes Thema ist wichtig. Meine Aufmerksamkeit geht in alle Richtungen, wo Förderung notwendig ist. Egal ob das nun die Digitalisierung betrifft oder sanierte Schulen mit sauberen Toiletten. Gerade der Bildungsbereich, beispielsweise die Kindergärten, werden von der Politik oft vergessen.

UM: Gibt es ein Projekt, dessen Verwirklichung Sie positiv erwähnen wollen?

PS: Die Umgestaltung des Marienplatzes ist sehr gelungen. Ohne den Bürgerhaushalt wäre diese Veränderung nicht so schnell vorangegangen.

UM: Also ist der Stuttgarter Bürgerhaushalt erfolgreich?

PS: Sieht man sich die Anzahl der abgegebenen Stimmen an, ist Stuttgart einer der erfolgreichsten Bürgerhaushalte deutschlandweit. Allerdings sind wir im Arbeitskreis mit 10 bis 15 Personen für ganz Stuttgart etwas schwach aufgestellt. Ideal wären fünf bis sechs Personen für jeden Bezirk. Ich allein betreue die Bezirke Stuttgart-Süd, -West sowie -Mitte.

UM: Wie wollen Sie das ändern?

PS: Wir suchen dringend MitstreiterInnen, die etwas bewegen und organisieren wollen. Ich würde gerne eine eigene Heslacher Gruppe gründen. Zudem wäre es hilfreich, an den Schulen eine Informationsveranstaltung zum Bürgerhaushalt zu veranstalten. Damit ließe sich die Neugier der jungen Leute wecken, wie ihre Stadt funktioniert, sowie das Bewusstsein herausbilden, dass sie selbst etwas bewirken können. Wäre die Anzahl der Mitwirkenden größer, könnte man eher basisdemokratische Entscheidungen treffen.

UM: Wer entscheidet, welche Projekte verwirklicht werden?

PS: Die letzte Instanz ist der Gemeinderat, also die Politik. Ich nehme jedoch an, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird, da sich die Gesellschaft wandelt und gelebte Basisdemokratie an Wichtigkeit gewinnt. Die Bürger müssen aber auch gewillt sein, sich zu engagieren. Eine höhere Bürgerbeteiligung sorgt für einen höheren Druck auf die Politik, die so gezwungen ist, dem Bürger zuzuhören. Zum Glück hat sich die Transparenz der kommunalen Politik in Stuttgart wesentlich verbessert, auch wenn diese bei Stuttgart 21 zu Beginn fehlte.

UM: Wie lief der Bürgerhaushalt in der Zeit der Corona-Pandemie ab?

PS: Dieses Jahr war es sehr anstrengend. Von Oktober bis März lief die Arbeitskreis-Vorbereitungszeit, danach wurden die einzelnen Vorschläge bewertet. Es gab dieses Jahr keine Unterschriftenlisten auf Papier. Die Online-Organisation war immens aufwendig, da die Digitalisierung der Stadt Stuttgart nicht auf dem neuesten Stand ist. Bald wird es hoffentlich wieder Veranstaltungen vor Ort geben. Das Digitale wird weiterhin miteinbezogen werden, da es für die Zukunft sowieso notwendig ist.

UM: Dann wird der Bürgerhaushalt auch in Zukunft fortgesetzt werden?

PS: Natürlich, der Bürgerhaushalt gehört zu Stuttgart. Die Gestaltung des städtischen Lebensraumes ist schließlich für alle Bürger ein bedeutsames Anliegen.

UM: Frau Sadoun, ich bedanke mich für das informative Interview.

Lesen Sie auch das umfangreiche Interview mit Patricia Sadoun in unseren Porträts.

2 Gedanken zu „„Wir suchen dringend MitstreiterInnen, die etwas bewegen und organisieren wollen.“

  • 13. Juni 2021 um 10:57 Uhr
    Permalink

    Als Arbeitskreiskollegin von Patricia lobe ich ausdrücklich ihr ehrenamtliches Engagement in Stuttgart-Süd, -West und -Mitte und bewundere auch ihre starke Eigeninitiative und Tatkraft. Dennoch stelle ich hiermit klar, dass der Arbeitskreis Stuttgarter Bürgerhaushalt als ehrenamtliches Einsatzteam für ganz Stuttgart die repräsentative Demokratie unterstützt und keine Direkte Demokratie anstrebt. „Die Politik“ wird in der Landeshauptstadt durch gewählte Mitbürger*innen gestaltet, die in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich nicht mehr „unter Druck“ arbeiten sollten wie bis 1918 in der Monarchie Württemberg. Der „Arbeitskreis Stuttgarter Bürgerhaushalt“ kann hier seit 2011 in Freiheit als ein beispielgebendes demokratisches Vorbild in der Kommune agieren.

    Antworten
    • 26. Juni 2021 um 18:41 Uhr
      Permalink

      Sehr geehrte Frau Wickenhäuser,
      Herzlichen Dank für Ihre Berichtigung und Belehrung. Ich werde selbstverständliche in Zukunft meinen unverzeihlichen, persönlichen Ausdruck im Zusammenhang mit dem Stuttgarter Bürgerhaushalt unterlassen.
      Herzliche Grüße
      Patricia Sadoun

      Antworten

Antworten auf Patricia Sadoun Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Tags:


Kategorien: