Ein Bericht von Dr. Bela Tous-Neumann
Persönliche Erinnerungen
Schon am 7. März 2019 wurde ich von Carola Haegele, Koordinatorin des Gebrüder Schmid Zentrums im Generationenhaus Heslach, und von Roqya Barekzai, Donya Barekzai, Zahra Farash, Zahra Attarbashi aus Afghanistan sowie Farideh Rashidinasub und Parisa Bankoo aus dem Iran zu diesem Veranstaltungstag herzlich eingeladen, der explizit für Frauen wie auch Kinder stattfindet. Ich habe mich sehr gefreut, weil wir am 7. März auch unsere Mütter und Schwestern in Russland anrufen, um ihnen zu gratulieren. Wir tätigen den Anruf bereits am 7. März wegen den acht Stunden Zeitunterschied zwischen Sibirien und Deutschland.
Für mich sowie für meine Freundinnen, die hier in Deutschland leben, stellt der 8. März eine berührende Erinnerung aus unserer Kindheit, den Schul- sowie Universitätsjahren dar. In meinem Heimatland Russland bekamen wir von unseren Schulkamerad*innen selbstgemachte Geschenke und Glückwunschkarten. Unsere Männer und Kolleg*innen schmückten für uns die Tische und luden uns zum Feiern ein.
Den Internationalen Frauentag feiert man in Russland, seit Leonid Breschnew diesen im Jahre 1966 eingeführt hat. Der Tag wird auch als Weltmuttertag zelebriert. Mit diesem werden die Großmütter, Mütter, Töchter und Enkel*innen geehrt. Unsere Väter und Brüder, Söhne und Männer freuen sich sehr, weil an diesem Tag alle frei haben. Sie sind so fleißig, weil sie nicht in die Schule oder zur Arbeit gehen müssen. Meistens sind sie in der Küche beschäftigt und backen Kuchen oder kochen viel Schmackhaftes. Beim Mittagessen schenken sie uns sehr teure Blumensträuße, Pralinen, Schönheitspflege, Parfüm sowie Schmuckstücke.
Meine Lieblingsfächer in der Schule waren Literatur, das meine Mutter für uns unterrichtete, sowie Deutsch, das ich in der 5. Klasse zum ersten Mal lernte, und Geschichte. Wenn ich mich nicht irre, wurde schon vor Jahrtausenden im alten Rom am 8. März der Frauentag gefeiert, als jeder Patrizier seiner Frau Schmuck schenkte. Nach dem Untergang des Imperiums geriet diese Tradition in Vergessenheit. Aber dank des Kampfes für Gleichberechtigung wird der Frauentag heute erneut gefeiert. Bereits in der Schule erfuhren wir, dass die deutschsprachigen Friedensaktivistinnen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg für die Einführung des Weltfrauentags eintraten.
Kleine Historie des Internationalen Frauentags
Clara Josephine Zetkin, geborene Eißner (*05.07.1857), war eine sozialistische deutsche Politikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin. Ich habe viele Dokumentarfilme über diese berühmte Frau gesehen. Als sie zehn Jahre alt war, hatte sie schon die Werke von Heinrich Heine und Friedrich Schiller gelesen, sogar daraus zitiert. Während ihres Studiums am Leipziger Pädagogischen Institut lernte sie ihren russischen Mann Ossip Zetkin kennen. Einer ihrer politischen Schwerpunkte war die Frauenpolitik. Bereits im Jahre 1878 schloss sich Clara Zetkin den Sozialdemokraten an. Von 1891 bis 1917 arbeitete sie für die Zeitschrift „Die Gleichheit“. Zetkin vertrat die These, dass die Emanzipation der Frau mit der sozialen Frage gekoppelt sei: Die Befreiung der Frau könne nur im Einklang mit der Befreiung der Arbeiterklasse erreicht werden, welches den Kampf für Frauenrechte jedoch nicht überflüssig mache. Im Jahr 1907 wurde ihr die Zeitung des neu gegründeten Frauensekretariats der SPD übertragen. Beim „Internationalen Sozialisten-Kongress“, der im August 1907 in Stuttgart stattfand, wurde die Gründung der Sozialistischen Fraueninternationale beschlossen – mit Clara Zetkin als internationale Sekretärin. Die Initiative zum Internationalen Frauentag wurde von der deutschen Feministin und Sozialistin auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27.08.1910 in Kopenhagen ergriffen. Zetkin war Mitgründerin der Spartakusgruppe sowie der USPD. Sie schloss sich bei der Gründung (1919) der KPD an, in der sie führende Positionen innehatte und die sie bis 1933 im Reichstag vertrat. Im Alter von 75 Jahren starb sie am 20.06.1933 in Archangelskoje in der Nähe von Moskau.
1977 wurde der 8. März von den Vereinten Nationen anerkannt und als „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ übernommen. 2019 machte Berlin als erstes deutsches Bundesland den Internationalen Frauentag zu einem Feiertag.
Heutzutage haben Männer und Frauen in Deutschland dieselben Rechte – so steht es zumindest im Grundgesetz. Doch obwohl sich vom ersten Weltfrauentag bis heute sehr viel getan hat, kann auch in Deutschland noch immer nicht von einer vollkommenden Gleichbehandlung gesprochen werden. Zum Beispiel gibt es in Firmen viel mehr männliche als weibliche Chefs. Außerdem bekommen Frauen im Durchschnitt weniger Gehalt als Männer, selbst wenn sie die gleiche Arbeit verrichten.
Feierlichkeiten im Gebrüder Schmid Zentrum
Es war bunt und fröhlich bei unserer Veranstaltung in Stuttgart-Heslach am 8. März 2019. Gemeinsam mit 120 Gästen erlebten die afghanischen, iranischen, irakischen, türkischen, russischen und deutschen Frauen eine bewegende Feier. Die Festlichkeiten fanden unter folgendem Motto im Rudolf Schmid Saal des Generationenhauses Heslach statt:
„Lasst uns, Frauen aus vielen verschiedenen Ländern, zusammen versammeln und lasst uns beflügelt weiter kämpfen – für eine bessere Zukunft.“
Das Ziel der Austragung des Internationalen Frauentags war es, in gemeinschaftlicher Arbeit mit dem Verein „Gelebte Nachbarschaft Heslach e. V.“ unter Leitung von Susanne Wirth sowie Heidi König, ein interkulturelles Treffen zu organisieren und zu gestalten.
In den großen und schick gestalteten Räumlichkeiten des Saales herrschte eine schöne Atmosphäre der Gastfreundlichkeit. Die roten Vorhänge, die leuchtenden Lampen, die vielfarbigen Tulpen auf den Tischen – dies alles zusammen schenkte allen ein beglückendes Gefühl der Freude. Jeder Gast hatte eine grenzenlos gute Stimmung. Die Frauen unterhielten sich gern miteinander, viele lachende und fröhliche Kinder waren dabei. Junge Damen fotografierten sich gegenseitig, waren neugierig den Film anzuschauen und in voller Erwartung auf etwas Zauberhaftes …
Im Zentrum des Rudolf Schmid Saales stand ein mit hübschen Papierblumenblüten verziertes Plakat, auf dem die folgenden Worte zu lesen waren:
– „Gleichberechtigung ist unser Ziel, die Inanspruchnahme ist unser Recht.“
– „Warte nicht darauf, dass jemand anderes für dich spricht. Du selbst kannst die Welt verändern.“ (Malala Yousafzei)
– „Wie sie leben, was sie tun, wie sie sich kleiden, all das entscheiden Frauen.“
Zur Eröffnung der Veranstaltung begrüßten die Organisatorinnen des Festes, Roqya Barekzai und Zahra Farash, die Gäste mit einer Rede. Zudem erzählte Susanne Wirth, Vorsitzende von „Gelebte Nachbarschaft Heslach e. V.“, wofür ihr Verein stehe und ließ beste Wünsche ausrichten. Des Weiteren schauten wir einen Dokumentarfilm über berühmte Frauen der Welt, auch Clara Zetkin erschien auf der Leinwand.
Dazu wurden allen Gästen verschiedene arabische Süßigkeiten warmherzig angeboten. Ich habe bemerkt, dass arabische, burjatisch-mongolische sowie russische Süßspeisen sehr viel süßer als europäische Süßigkeiten sind.
Gleichzeitig wurden freiwillige Gäste mit folgenden Fragen interviewt:
1. Stellen Sie sich ganz kurz vor.
2. Wie fühlen Sie sich in Deutschland?
3. Wie möchten Sie sich als Frau engagieren?
4. Was ist Ihr Traum?
5. Was bedeuten für Sie Frauenrechte?
6. Sind Sie unabhängig von Ihrem Mann?
7. Was macht eine Frau aus?
8. Finden Sie den Frauentag wichtig?
Eine junge Dame, ihr Name ist Zehra, berichtete ihren Zuhörerinnen von den Erlebnissen ihrer Familie in der Emigration. Sie erzählte von ihrem privaten Leben, wie sie sich in Stuttgart engagiert sowie welche Vor- und Nachteile es hier gibt.
Das Büffet unter Leitung meiner Mitarbeiterinnen Parisa und Farideh aus dem Café Nachbarschafft sowie Schayqa Jami, Vahiede Farash und Manijeh Khasraui-Peiro bot leckere Köstlichkeiten an. So gab es Gelegenheiten ins Gespräch zu kommen und dabei iranische oder afghanische Gerichte zu genießen. Die arabischen Spezialitäten werden sehr scharf gewürzt, trotzdem probierte ich sie zum ersten Mal. Das schmackhafte Aroma vieler arabischer Speisen beruht auf der Verwendung von frischen Kräutern wie zum Beispiel Petersilie, Koriander sowie von Gewürzen wie Kümmel, Safran, Muskat und Zimt. Dabei habe ich neue kulinarische Menüs für mich entdeckt:
– „Ghemeh“ – Rindfleisch, Kartoffeln, Bohnen und Tomatensoße;
– „Khoresht“ oder „Ghormeh Zabzi“ – Lammfleisch mit Bohnen und Kräutern, getrockneten Zitronen sowie Reis mit Safran;
– Spaghetti Salat.
Nach dem Bankett gab es wieder Zeit zum Reden und zum Spielen. Jede Frau hat seine Nachbarin vorgestellt und ihr viele Komplimente gemacht. Danach traten Tanz- und Gesangstalente aus verschiedenen Ländern auf. Es wurden Volkstänze und moderne Tänze aufgeführt. Männer waren bei den Feierlichkeiten nicht anwesend, weil der Tag ausschließlich den weiblichen Wesen gewidmet ist.
Zum Abschluss verabschiedeten sich die Organisatorinnen von den Gästen und schenkten ihnen wunderschöne Tulpen. Plötzlich erinnerte ich mich an meine Großmutter, die immer sagte: „Man muss Gutes tun, ohne Dankbarkeit zu erwarten.“
Bis zum nächsten 08. März!