Ein Interview mit der vielseitig engagierten Toastmasterin Patricia Sadoun – von Ulf Menck im Mai 2021
Ulf Menck (UM): Guten Tag, Frau Sadoun. Wann sind Sie geboren und wo sind Sie aufgewachsen?
Patricia Sadoun (PS): Ich bin im September 1953 in Nordafrika in Meknès (Marokko) geboren. Mein Vater ist viel gereist. Wir hatten keinen festen Wohnsitz, so dass ich in mehreren französischsprachigen Ländern groß geworden bin. Meine Mutter hat deutsch gesprochen, da sie aus dem Elsass kam. Veranlasst durch verschiedene Projekte oder aufgrund von Kriegen sind wir oft umgezogen. Ich bin ziemlich isoliert aufgewachsen, wurde von Privatlehrern unterrichtet und habe dann früh mit 16 Jahren mein Abitur in Paris gemacht. Die wichtigen Prüfungen waren alle auf Französisch.
UM: Wie setzte sich Ihre berufliche Laufbahn fort?
PS: Ich habe in Paris Grundschulpädagogik studiert und hatte bereits mit 19 Jahren meinen Abschluss. Wie es in der damaligen Zeit bei uns üblich war, sollte ich daraufhin verheiratet werden, was ich aber nicht wollte. Aus diesem Grund bin ich mit Hilfe meiner späteren Schwiegermutter nach Deutschland geflüchtet. Dort habe ich geheiratet. Die Familie meines Mannes hatte einen Familienbetrieb, eine Gärtnerei in Zuffenhausen, weswegen ich in den 1970er Jahren in Stuttgart Gartenbau und Floristik studiert habe.
UM: Wie ging es weiter?
PS: In den 1980er Jahren habe ich schließlich ein Studium aufgenommen, das mir am Herzen lag. Ich habe Internationales Management in Paris studiert, ungefähr fünf Jahre lang bis 1986/87. Daraufhin bekam ich viele Angebote von verschiedenen Firmen und arbeitete zudem als Freelancer von 1978 bis zur Schließung 1997 als Handelsattaché für das Französische Konsulat.
UM: Das war ja wieder etwas vollkommen anderes als die beruflichen Lebenswege, die Sie zuvor eingeschlagen haben?
PS: Ja, aber davor habe ich mich eher den Gegebenheiten angepasst. Das erste Studium war ein Kompromiss zwischen meinem Vater und mir. Das Zweite orientierte sich am Beruf meines Mannes. Außerdem habe ich nie aufgehört zu lernen. Lernen ist mein Lebenselixier und gibt meinem Leben einen Sinn.
UM: Haben Sie später in Deutschland gearbeitet?
PS: Ich bin erst seit 2014 in Deutschland dauerhaft beruflich tätig. Davor habe ich über 30 Jahre lang im Ausland gearbeitet. Unter der Woche war ich überall auf der Welt als freie Mitarbeiterin in der Stahlindustrie tätig: in Luxemburg, Brüssel, Polen, Kasachstan, Israel und in vielen anderen Ländern und Städten. Am Wochenende war ich bei meiner Familie in Stuttgart. Ich habe drei Kinder großgezogen und hatte hier in Deutschland ein wunderschönes Leben mit Wohlstand. Aber beruflich bin ich mit der deutschen Lebensmentalität nicht warm geworden. Ich bin zu temperamentvoll und immer offen für neue Projekte und neue Herausforderungen. Diese habe ich immer mit viel Motivation angenommen und es nie bereut. Jede neue Aufgabe war eine Bereicherung für mein Leben mit neuen Erlebnissen. Wenn ich Zeit hatte, habe ich auch im Familienbetrieb meines Mannes ausgeholfen.
UM: Gab es auch einschneidende Erlebnisse in Ihrem Berufsleben?
PS: Ja. Ich bin immer viel geflogen, mehrmals die Woche. Auf einem Flug nach Brüssel im Winter 2003 gab es Turbulenzen. Es war ein sehr unruhiger Flug, wir mussten in einer Schneeanhäufung notlanden. Bei der Landung habe ich mir eine Verletzung zugezogen, habe mir den Atlas – den obersten Halswirbel – angebrochen. Einige meiner Kollegen waren schwer verletzt. Ich hatte Glück, nicht dauerhaft gelähmt zu sein. Allerdings hatte ich seitdem starke Schmerzen, die chronisch wurden. Dies führte dazu, dass ich meine Tätigkeit in der Stahlindustrie vorzeitig eingeschränkt habe.
UM: Dieses Ereignis hat Ihrem Leben eine weitere Wendung gegeben?
PS: Ja. Ich habe mich aufgrund meiner Schmerzen mit Psychologie und Psychotherapie beschäftigt. Dies führte zu einer Ausbildung zur Trainerin für Qi Gong und Tai Chi Chuan. Dafür war ich sechs Jahre lang für jeweils zwei Monate im Jahr in einer Klosterschule in China. Ich befasste mich auch mit grundlegenden Kommunikationsformen der Menschen, besonders der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg und dem Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP).
UM: Wie half Ihnen das bei der Therapie der Schmerzen weiter?
PS: Kommunikation hilft, da es sehr wichtig ist, über die Schmerzen zu sprechen. Das muss man erst mal lernen: Wie kann man darüber sprechen? Wie die Schmerzen sprachlich ausdrücken?
UM: Wie viele Sprachen sprechen Sie?
PS: Französisch und Deutsch sind meine Muttersprachen. Zudem spreche ich Englisch, habe Kenntnisse in Spanisch, Italienisch und verstehe Arabisch. Chinesisch habe ich versucht zu lernen, es war aber sehr schwierig. In China hat mir die nonverbale Kommunikation sehr weitergeholfen.
UM: Sie sind ja auch als Toastmasterin tätig?
PS: Das liegt sozusagen in der Familie. Schon mein Vater war seit 1938 Toastmasters-Mitglied. Ich bin seit 2007 aktiv. Die Toastmasters sind eine ehrenamtliche Non-Profit-Organisation, die Menschen weltweit zusammenbringt, um das freie Reden und eine effektive Kommunikation zu trainieren sowie Führungsqualitäten zu fördern. Der erste Club wurde 1924 in Amerika gegründet. Dort gibt es sie mittlerweile an jeder Ecke, viele namhafte Politiker wie etliche US-Präsidenten sind oder waren Mitglieder.
UM: Sie haben auch einen eigenen Toastmasters Rhetorik-Club hier im Gebrüder Schmid Zentrum (GSZ) gegründet?
PS: Insgesamt habe ich drei Clubs gegründet; neben dem im GSZ einen in Ludwigsburg sowie einen Unternehmerclub bei Novatec. Ich bin außerdem im Verband der Toastmasters tätig und unterstütze diesen beispielsweise mit Übersetzertätigkeiten.
UM: Wie kam die Verbindung zum Generationenhaus Heslach zustande?
PS: Ich wohne hier in der Nähe. Und meine Idee des Clubs passt zum GSZ. Das Generationenhaus zieht Menschen an, die einen Ausweg und neue Herausforderungen suchen. Dann hatte ich ein Gespräch mit Carola Haegele, der Leiterin des GSZ, das ausschlaggebend für mich war, ein ehrenamtliches Engagement zu beginnen. Es war eine Unterhaltung auf Augenhöhe. Ihre zuvorkommende Art hat mich beeindruckt. Sie hat mir das Gefühl vermittelt: „Du bist hier willkommen.“
UM: Was ist die Besonderheit des Clubs im GSZ?
PS: Eigentlich sind die Toastmasters oft Clubs für „Manager“ oder Menschen, die beruflich weiterkommen wollen. Das steht hier eher im Hintergrund. Er ist für alle Menschen offen. Es geht darum Schwächen in Stärke umzuwandeln und Gefühle in Worte zu fassen. Das führt zu einer Veränderung im ganzen Wesen des Menschen, die langsam oder schnell vonstattengehen kann. Diese Transformation oder Erkenntnis über sich selbst ist die Vision, die ich bei der Gründung des Clubs hatte. Ich habe hier schon an vielen wunderschönen Verwandlungen teilhaben können.
UM: Wer besucht Ihre Rhetorik-Kurse?
PS: Das ist sehr unterschiedlich. Es sind junge und ältere Menschen mit verschiedenen Nationalitäten und allen Arten von Berufen. Es herrscht eine Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern. Durchschnittlich sind die TeilnehmerInnen fünf Jahre mit dabei.
UM: Was ist bei den Sitzungen noch wichtig?
PS: Von großer Bedeutung ist es, konstruktives Feedback zu geben, das wir Toastmasters „Wertschätzung“ nennen. Positiv und wohlwollend, aber auch kritisch, um neue Impulse zu geben, damit die Teilnehmer wachsen können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das hier in Deutschland nicht so einfach ist wie in Afrika oder Asien. Die Menschen dort gehen damit eher dankbar um. Hier hat sich eine weichgespülte Kritik durchgesetzt. Um wachsen zu können, muss man aber deutliche Worte finden, die natürlich nicht verletzend sein sollen, aber den Menschen trotzdem zum Nachdenken bringen. Das ist die Kunst, die wir Toastmasters regelmäßig alle 14 Tage üben und üben und üben!! In der Theorie sind die Teilnehmer hier sehr fit, aber in der Umsetzung, im eigenen Erleben und Wissen, fehlt häufig das gewisse Etwas. Zudem ist Kommunikation mehr als nur Worte. Auch die Stimme, deren Modulation, die Gestik, die Ausstrahlung, die Präsenz und zuletzt die Persönlichkeit und Identität sind entscheidend.
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass jeder Mensch ein Rohdiamant ist. Manch einer hat den Mut und die Ausdauer, sich bei Toastmasters durchzubeißen, denn von Rede zu Rede wird er „geschliffen“, er verändert sich, manche verwandeln, andere transformieren sich. Am Ende ergeben sich oft strahlende, gefestigte sowie redegewandte Persönlichkeiten. Das Ergebnis: besondere Edelsteine. Diese Schönheit miterleben zu dürfen, ist meine Motivation.
UM: Bei der wertschätzenden Rückmeldung spielt sicher auch die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg eine Rolle?
PS: Herr Rosenberg war mit meinem Vater befreundet. Intensiv habe ich mich dann während meiner Ausbildung mit ihm beschäftigt. Seine Form der Kommunikation kann selbst in Kriegskonflikten wie im Nahen Osten helfen, die aufgeheizte Stimmung mit Feingefühl zu befrieden. Es geht um eine Kommunikation, die Menschen ohne gegenseitige Abwertung miteinander kommunizieren lässt.
UM: Sind Sie noch anderweitig beruflich engagiert?
PS: Ich arbeite als Personal Coach in der Familienberatung, betreue Eltern, die mit ihren Kindern nicht mehr klarkommen oder Jugendliche, die mit ihren Eltern Probleme haben. Zudem unterstütze ich bei Scheidungen, in diesem Fall besonders die Kinder, die unter der Trennung ihrer Eltern leiden. Der finanzielle Aspekt, also meine Bezahlung, ist dabei vom Budget der Person abhängig, die meine Hilfe in Anspruch nimmt.
Außerdem gebe ich als Lerncoach Nachhilfe in verschiedenen Fächern wie Deutsch, Französisch oder Ethik. Die Kinder, welche ich oft über mehrere Jahre begleite, stehen bei mir im Mittelpunkt. Diese sollen das Lernen als eine Bereicherung für ihr Leben erfahren. Neben dem Erreichen eines guten Abschlusses sollen sie auch auf ihr selbstständiges Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden.
Des Weiteren gebe ich Tai Chi Chuan- und Qi Gong-Kurse in einem Pflegeheim sowie in Unternehmen.
UM: Frau Sadoun, ich bedanke mich für das spannende Interview über Ihr ereignisreiches Leben. Was haben Sie für die Zukunft geplant?
PS: Mein Vater hat zwei Bücher geschrieben. Vielleicht werde ich irgendwann auch ein Buch über mein Leben schreiben.