Protokoll des Workshop 1

»Fremdeln mit den Nachbarn«  Wie lernt man in einem Quartier der Differenz miteinander zu leben?

Moderation: Flavie Singirankabo , Eltern aus Burundi, in Belgien geboren und teilweise aufgewachsen, in Ostfriesland sozialisiert, in Stuttgart verheiratet, zwei Kinder

Dr. Kai Unzicker, Bertelsmann Stiftung, Programm Lebendige Werte

Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter Stadt Stuttgart

Fünf Leitfragen für die Workshops:
– Was sind wichtige Themen und Anliegen für quartiersbezogene Lern- und Verständigungsprozesse?
– Was braucht es, damit eine gemeinsame Verständigung im Quartier gelingt?
– Welche Orte und Akteure können gemeinsame Lernprozesse im Quartier unterstützen?
– Was liegt in der Verantwortung der Kommune, damit das Quartier dauerhaft ein gutes Lernfeld ist –
und welche Voraussetzungen muss sie dafür schaffen?
– Welchen Gewinn habe ich als Bewohner, mich für mein Quartier einzusetzen?

Input Dr. Kai Unzicker, beginnt mit einer Anekdote:
Eine Podiumsdiskussion im Münsterland zum Thema »Neubürger« mit Bürgermeistern und Pfarrer. Als klar wird, dass es um Migration gehen soll, sind die zur Diskussion Gekommenen erstaunt. Migration ist nicht das Thema, um welches es bei ihnen geht. Sie dachten, dass es dabei um die Münsteraner ginge, die seit dem U-Bahnanschluss vor zehn Jahren zugezogen sind.

Es geht um zwei Punkte:
Was ist Kontakt? Begegnung, freiwillig, z.B. Sport
Welche Anliegen gibt es zum Thema Kontakt? Was passiert im Viertel?

Bremer Wohnungsbaugesellschaft hat einen Versuch zum besseren sozialen Miteinander gestartet: In den Wohneinheiten werden an jeden Mieter Kärtchen verteilt, die Jeder und Jede mit seinen Interessen beschreiben und an die Tür der Nachbarn hängen soll/kann.

Input Gari Pavkovic:
Integrationsbeauftragter, Netzwerker für alle Stuttgarter Neubürger
Mit der Familie 1969 aus dem damaligen Jugoslawien nach Waiblingen gekommen. Für die Familie war klar, dass sie wieder zurückkehren wird. Heimat ist die Familie, Familie ist Jugoslawien. Dieser Konflikt wurde bei den meisten Familien an die Kindern weitergegeben.
1971 in den Stuttgarter Westen aufs Gymnasium, Abitur 1979. Für ihn war da schon klar, dass er nicht zurückkehren will. Gari Pavkovic hat Psychologie studiert und beim Jugendamt, in der Jugendhilfe gearbeitet, bis er vor 15 Jahren Integrationsbeauftragter, angesiedelt beim OB, wurde.
Seit 1987 lebt er mit Familie durchgehend im Westen. Über Kinder bilden sich Kontakte. Begegnungsorte, wie Hinterhofspielplatz-Initiative Rötestraße, durch gegenseitiges Helfen und Interessen ergeben sich Freundschaften. Im Westen gibt es viele Zentren für verschiedene Interessen.

Z.B. das Bürgerzentrum West beherbergt ganz verschiedene Gruppen, die auch nicht unbedingt miteinander in Berührung kommen.  Niedrigschwelliger offener Treff ist im Bürgerzentrum Café. Migrantengruppen organisieren sich als communities.

Beispiele für »Begegnungszentren«
Haus 49, Stadtteilzentrum im Stuttgarter Norden
Welthaus am Charlottenplatz
Generationenhäuser
Bürgerzentren in den Stadtteilen

Vor dem Beginn der Arbeit zum Tagungsthema:
Was machen wir nun in diesem kahlen Sitzungsraum? Wir teilen uns in drei Gruppen auf, die jeweils an dem gegebenen Thema arbeiten.

In der Untergruppe beginnen wir mit dem Thema: »Eigene Erfahrung mit Begegnung im Quartier«
Wie kommen wir in Wohnblocks in Kontakt? Es braucht Gemeinschaftsräume, einen Ort wo man sich niederschwellig treffen kann. Es braucht bauliche Voraussetzungen für  Quartiere.
Für ein „Wir“ braucht es etwas Gemeinsames, ein gemeinsames Interesse.
Begegnungscafé im Generationenhaus Heslach.  Begegnung zwischen Bewohnern einer nahen Unterkunft und sozial Schwachen aus der näheren Umgebung. Langsam entwickelt sich ein zaghaftes Annähern. Dort gibt es viele „Wirs“
Es gibt in den Quartieren verschiedene Wünsche und Ansprüche, verschiedene Welten, verschiedene Personenkreise:
Eltern bilden eine Gemeinschaft
Senioren müssen aktiviert werden
Berufstätige brauchen Kreativangebote

Eine Teilnehmerin schildert ihr Beispiel aus Tübingen:
Zwölf Nachbarn bauen ein altes Haus in der Tübinger Südstadt aus. Dort sollen bezahlbare Wohnungen für Flüchtlinge entstehen. Mit Gemeinschaftsräumen, Gemeinschaftsgarten und Werkstatt.

Workshop 1-Ergebnisse:

Was sind wichtige Themen und Anliegen/Bedingungen für quartiersbezogene Lern- und Verständigungsprozesse?
Initiatoren; aufgeschlossene, kommunikative Menschen, die auf die Nachbarn zugehen; ich bin ok, du bist ok, ich möchte dich kennenlernen trotz meiner Angst; wir wollen uns begegnen, trotz Andersartigkeit; sich mit anderen Menschen zusammentun.

Was braucht es, damit eine gemeinsame Verständigung im Quartier gelingt?
Mütterzentren, Kinderbetreuung – Generationen übergreifend; Senioren kochen für Schüler – Vernetzung zwischen Vereinen; Suppenfestival – jede Kultur kocht ihre Suppe;  Nähkurs für Frauen;  gemeinsam Singen und Tanzen; aktivieren von Senioren durch bereits aktive Bekannte; Freundeskreise zur Unterstützung von Nichtflüchtlingen öffnen; Suchen nach gemeinsamen Interessen.


Welche Orte und Akteure können gemeinsame Lernprozesse im Quartier unterstützen?
Es braucht öffentliche Orte, um sich treffen und verständigen zu können; Aktionen im Quartier, die Nachbarn herauslocken und zusammenbringen; aktive Stadtteilvereine organisieren Begegnung;
Initiierung von Begegnungsmöglichkeiten; es braucht Brückenbauer*innen, um Verständigung anzustoßen; Handel, Vereine, engagierte Einzelpersonen, kulturelle Einrichtungen.

Welche Voraussetzungen muss die Kommune schaffen, damit das Quartier dauerhaft ein gutes Lernfeld ist?
Wege für Projekte vereinfachen; amtl. Ansprechpartner für Projekte sichtbarer machen; es braucht klare Ansprechpartner bei der Kommune für Bürger*innen aus Nachbarschaften; städt. Begleitung beim Ausformulieren von Projektanträgen; Sponsoren finden; Kommunen und Landkreise müssen personelle Ressourcen einbringen, um Prozesse anzustoßen; Orte der Begegnung schaffen – niedrigschwellig; Werbung: Amtsblatt, Aushang; Deutschunterricht – schwierige Vorlagen; Offenheit der Kommune – Ideen der Bürger.

Welchen Gewinn habe ich als Bewohner, mich für mein Quartier einzusetzen?
Leute kennenlernen; gibt dem Leben Sinn; Lebensqualität wird gestärkt – Wir-Gefühl; von den Anderen lernen; Freude über Fortschritt; Geben macht glücklich; Aufmerksamkeit für die Umwelt steigt; negative Auswirkungen des Individualisierungsprozesses werden aufgefangen; Umarmungen; stabile/gelebte Nachbarschaft; Sehnsucht nach Herzensbegegnung in der Tiefe; Zugehörigkeit, Zufriedenheit, Geborgenheit, Identifikation, Glück.